Offshore: Energie für den Globus

Bislang bauten vor allem europäische Länder die Windkraft auf dem Meer aus. Jetzt ziehen Asien und Nordamerika nach, angetrieben von vereinbarten Klimazielen

Die Geschichte der Offshore-Windkraft beginnt vor über 30 Jahren vor dem Dorf Vindeby auf der dänischen Insel Lolland. Dort drehten sich 1991 erstmals elf Turbinen im Meer. Die 2.000-Seelen-Gemeinde gilt seitdem als Geburtsort der Windenergie auf See. Heute wirkt die damalige Kraft der Anlagen niedlich: Nur 0,45 Megawatt erzeugte jedes Windrad – heutige Anlagen kommen auf die 15-fache Leistung, bei künftigen wird mehr als 30-mal so viel drin sein.

Inzwischen gilt die Offshore-Windkraft als zentraler Pfeiler einer nachhaltigen Energieversorgung. Seit 2012 hat sich das weltweite Leistungsvermögen verzehnfacht. Im vergangenen Jahr standen Meereswindräder für knapp 50 Gigawatt installierte Leistung. Das entspricht rund 30 Kernkraftwerken und würde nach deutschen Standards reichen, um gut 100 Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen. Klingt viel. Ist es aber nicht. Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien IRENA rechnet vor, dass bis 2050 die Offshore-Windparks der Welt 2.000 Gigawatt Strom erzeugen müssen, um die im Vertrag von Paris vereinbarten Klimaziele einzuhalten. Das heißt, in 20 Jahren müssen Windräder auf See 40-mal so viel Strom erzeugen wie heute. Ein Umdenken findet bereits statt. „In den vergangenen Jahren hat sich die Einsicht verstärkt, was für einen hohen Beitrag die Offshore-Windkraft im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann“, erklärt Alastair Dutton, Vorsitzender der Global Offshore Wind Task Force des Weltverbands GWEC.

Offshore-Anlagen haben einen entscheidenden Vorteil. Durch die beständige Brise auf See erzeugen sie doppelt so viel elektrische Energie wie Windparks an Land. Dafür sprechen schon die Dimensionen. Das Rotorblatt einer Offshore-Turbine wird in den kommenden Jahren einen Durchmesser von einem Viertelkilometer erreichen. Auf dem Meer gibt es genug Platz. Auf lange Sicht gilt die Offshore-Windkraft deshalb als besonders erfolgversprechende Erzeugungsart.

Vor den Küsten bewegt sich was

Gleichzeitig bauen Betreiber ihre Windparks immer weiter von den Küsten entfernt, weil es dort noch stärker weht. Diesen Trend wird eine neue Art von Anlagen verstärken, die nicht mehr im Meeresboden montiert werden muss, sondern auf verankerten Schwimmkörpern ruht.

Dadurch lassen sich Windparks auch dort errichten, wo das Wasser zu tief für die herkömmliche Bauweise ist. Länder mit steilen Küsten können damit ebenfalls in die Offshore-Windkraft einsteigen.

Sinkende Erzeugungskosten beflügeln den Bau von Offshore-Windparks zusätzlich. Das liegt nicht nur am technischen Fortschritt. Auch die Wertschöpfungsketten werden effizienter. Planungsbüros, Baufirmen und Windparkbetreiber bilden einen wichtigen Pfeiler. Hinzu kommen Werften, die spezielle Schiffe für den Bau und den Betrieb von Windparks fertigen. Broker vermitteln das richtige Schiff zum Einsatz im Offshore-Windgeschäft.

Den größten Schub erhält die Branche derzeit aus Asien. Vor allem China investiert Milliarden in die Offshore-Windkraft. Mehr als 30 neue Parks sind geplant. Auch Vietnam und besonders Taiwan haben ehrgeizige Ziele. Der GWEC geht davon aus, dass die Küsten Asiens das weltweit größte Potenzial für einen Ausbau der Windkraft bis 2050 bergen. Aber auch europäische Küsten bieten noch gute Bedingungen. Selbst in den USA, die derzeit kaum Windräder auf dem Meer haben, sind in den kommenden Jahren nennenswerte Investitionen geplant. Erhebliches Potenzial sieht der GWEC auch in Australien und Südamerika.

Bis 2030 werden die europäischen Staaten in Sachen Offshore-Windkraft noch die Nase vorn haben. Lange Zeit galt Deutschland als besonders vielversprechende Nation. In den vergangenen Jahren stagnierte jedoch der Zubau. Ein Grund sind neue Gesetze, die statt festen Zuschüssen Auktionen vorsehen. Wer einen Windpark bauen will, muss ein Angebot abgeben. Den Zuschlag bekommt, wer die niedrigste Förderung verlangt.

„Das Rotorblatt einer Offshore-Turbine wird in den kommenden Jahren eine Länge von einem Viertelkilometer erreichen.“

Ampel zeigt grün für Offshore-Windkraft

Mittlerweile erhöhte die deutsche Regierung das Ausbauziel von 15 auf 20 Gigawatt bis 2030 und auf 40 Gigawatt bis 2035. Für 2045 sind nun sogar 70 Gigawatt vorgesehen. Fachleute erwarten weiteren Elan für die Offshore-Windkraft. Dazu gehört die Einführung von Differenzverträgen nach gewonnenen Auktionen. Sie deckeln zwar die Gewinne durch höhere Strompreise, begrenzen aber auch das Risiko. Auf diese Weise können Betreiber sicherer kalkulieren. Differenzverträge existieren in unterschiedlichen Varianten bereits in Dänemark, Italien, Frankreich und Großbritannien. In Großbritannien hat sich die Offshore-Windbranche in den vergangenen Jahren hervorragend entwickelt. Die Regierung erhöhte ebenfalls die Ausbauziele.

Ex-Premierminister Boris Johnson kündigte an, dass bis 2030 jeder britische Haushalt den gesamten Strom von einer Offshore-Plattform erhalten soll. Die Briten profitieren von ihrer 12.000 Kilometer langen Küstenlinie. Rund um die 200-Seemeilen-Zone finden sich zahlreiche Areale, die sich zum Bau von Windparks eignen. Hinzu kommt, dass an vielen Stellen das Wasser nicht tief ist. Die Kosten des Ausbaus halten sich damit im Rahmen.

Weitere bedeutende Windkraftnationen in Europa sind die Niederlande und Dänemark. Wer in den Niederlanden einen Offshore-Windpark baut, muss allerdings ohne Förderung auskommen. Für die Bauherren kann sogar eine Pacht fällig werden. Dänemark setzt auf Differenzverträge und treibt den Ausbau in Nord- und Ostsee voran. Offshore-Entwicklungsland im Kreise der europäischen Nachbarn ist Frankreich – trotz seiner langen Küsten. Die Regierung hat zwar die Ausbauziele für die Offshore-Windkraft angehoben. Zugleich wurden die Genehmigungsverfahren vereinfacht. Bei der Technik für schwimmende Windparks legen sich alle Nationen sehr ins Zeug. Bislang kommt jedoch keine französische Windenergie aus dem Meer. Erst zwei Windparks sind im Bau. Ein Grund für das schleppende Tempo ist, dass mehr als 70 Prozent des Stroms aus Kernkraftwerken stammen, die kaum CO2 emittieren. Deshalb ist der Handlungsbedarf zur Einhaltung der Klimaziele geringer als bei anderen Ländern.

China übernimmt den Spitzenplatz

Der Aufstieg Asiens in der Offshore-Windkraft wird besonders durch das Engagement Chinas getragen. Mittlerweile hat das Land die weltweite Führung übernommen. Allein im Jahr 2021 legte die Volksrepublik 12,7 Gigawatt installierte Leistung zu. Eine gigantische Zahl. Damit ließen sich in Deutschland rein rechnerisch mehr als zwölf Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Die Kurve in China zeigt weiter nach oben – 33 Offshore-Windparks mit zusammen acht Gigawatt Leistung sind im Bau und werden in den kommenden Jahren ans Netz angeschlossen. Doch wie der Offshore-Boom in China weitergeht, ist offen. Denn 2022 laufen die massiven Förderungen der Zentralregierung aus. Das Ausbautempo hängt davon ab, ob die Provinzregierungen die Erzeugungsart unterstützen und wie sich der Produktionspreis entwickelt.

Neben China treibt auch der Inselstaat Taiwan den Ausbau der Offshore-Windkraft voran – obwohl sich erst zwei Windräder vor der Küste drehen. Doch eine hohe Bevölkerungsdichte und raue Gebirge mit bis zu 4.000 Meter hohen Gipfeln bieten kaum Platz für Windräder an Land. Seit die Regierung 2017 den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2025 erklärt hat, steht die Offshore-Windenergie im Zentrum der Energieversorgung. Die Regierung in Taipeh hatte zunächst geplant, bis 2035 Anlagen mit insgesamt 15,5 Gigawatt Leistung anzuschließen, erhöhte 2021 diese Ziele noch einmal um 50 Prozent. Damit würde Taiwan die Nachbarn Japan und Südkorea überholen, die ebenfalls Ausbauziele in ähnlicher Größenordnung gesetzt haben.

Ein ambitionierter Neuling in Sachen Offshore-Windkraft ist Vietnam. Das Land verfügt seit 2015 über einen Windpark auf See. Ein zweites Projekt wird derzeit gebaut. Weitere Parks sind in Planung. Der GWEC geht davon aus, dass die Regierung weitere Ausbaupläne bekannt gibt, einen neuen Energie-Entwicklungsplan verabschiedet und den Rahmen für Auktionen festlegt.

„Der erste Windpark vor der Küste des Australiens soll gleich der größte der Welt werden und Australien an die Spitze der weltweiten Offshore-Länder befördern.“

Nachzügler Nordamerika

Zu den Spätzündern gehören die USA. Obwohl die Küsten von Atlantik und Pazifik gute Bedingungen bieten, erzeugen erst zwei kleinere Windparks an der Ostküste Strom. Unter Trump kamen die geplanten Projekte kaum voran, nach dem Regierungswechsel hat sich der Wind allerdings gedreht. Bis 2030 sollen 30 Gigawatt Offshore-Windstrom in die Netze fließen. Ein Großprojekt nahm die letzte Genehmigungshürde, weitere Vorhaben sind in Planung. Der spanische Energiekonzern Iberdrola hatte im Februar erklärt, er wolle zehn Milliarden Euro in drei Windparks vor der Küste von Massachusetts investieren.

Ebenfalls in den Startlöchern steht Australien. Der Regierung war eine Energiewende lange Zeit nicht wichtig. Nach den durch Trockenheit verursachten Buschfeuern setzt ein Umdenken ein. Der erste Windpark vor der Küste des Kontinents soll gleich der größte der Welt werden und Australien an die Spitze der weltweiten Offshore-Länder befördern.

Offen ist bislang, wie sich der Krieg in der Ukraine auf die Offshore-Windkraft auswirken wird. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen drang im März auf mehr Unabhängigkeit von Energieimporten. Die Europäer müssten unbedingt raus aus der Abhängigkeit von russischem Gas. Zumindest vor den Küsten des Kontinents deutet sich damit ein stärkerer Ausbau der erneuerbaren Energien an.